Die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr ist so eine Sache. Ich bin ganz durcheinander, fühle mich unfähig, ordentliche Texte zu schreiben, bin nicht sehr produktiv, erschaudere vor den anstehenden Prüfungen,...
Ich mochte Neujahr nie so wirklich. Warum, wusste ich nie genau. Ich sah im 31.12. nur einen Tag wie alle anderen mit einem folgenden Tag wie alle anderen, der zum ersten Mal seit 12 Monaten wieder Januar hieß. Vorher hab ich festgestellt, dass es wahrscheinlich daran liegt, dass ich ungern loslasse. Ja, was gibt es daran zu feiern, dass die Zeit verstreicht? Das ist doch eher ein Grund zum trauern...
Meinen Neujahrsvorsatz möchte ich demnach gleich dieses Silvester ausüben: Lernen, nicht an der Vergangenheit zu hängen, sondern in aller Seelenruhe weiterzugehen und nach vorne zu schauen. Dass ich ein Horter bin, ein Hüter der Erinnerung, ein Messy der Souvenirs, das weiß ich schon lang. Und ich sage nicht, dass ich das bleiben lassen will. Die Vergangenheit ist etwas Schönes. Sie ist das einzig Sichere, das wir im Leben haben. Sie ist geschrieben, unveränderlich. Egal, wie sie war, schön oder schlimm, sie ist eine Straße, auf die man zurückblicken kann, und auf der die Autos und Menschen und Blätter im Wind stillstehen. Wir waren dort, jeden Milimeter dieser Straße sind wir abgelaufen und haben die damalige Gegenwart beeinflusst. Die Vergangenheit ist etwas Gutes, aber ich will die blockierenden Brocken aus der Erinnerung an sie schlagen. Wenn ich zurück schaue, will ich mich nicht mehr in dieser stillstehenden Straße sehen, weil das einen Teil von dem wegnimmt, was ich in der Gegenwart brauche um ganz zu sein, die ebenfalls bald vergangen sein wird.
Früher mochte ich auch die Idee des Neuanfangs an Neujahr nicht. Man hat doch jeden Tag die Chance, neu zu beginnen. Dafür braucht man keinen 1.Januar. Aber vielleicht hilft er... Er hilft, weil man den Kreis wahrnehmen kann, die Wiederholung, die Art, wie alles in der Welt zusammenspielt und harmoniert. Kurz: Man sieht die Hand Gottes in der ganzen Welt. Wie geordnet doch alles abläuft, in dieser Welt, wo physikalisch gesehen alles ein Chaos anstrebt... Auch im übertragenen Sinn können wir Gott in der Vergangenheit sehen: Oft genug merken wir im Nachhinein, wie perfekt geplant doch alles gelaufen ist. Zwar nicht nach unserem Sinn und unseren Vorstellungen, aber perfekt mit allen Aufs und Abs, weil er am Steuer gewesen ist. Dieser Ablauf ist ein Kreis, und es stimmt, ein Kreis hat weder Anfang noch Ende. Aber er wiederholt sich. Zwar ohne Unterbrechung, aber er kennt eine perfekte Regelmäßigkeit, oder besser gesagt, viele perfekte Regelmäßigkeiten. In einer dieser Regelmäßigkeiten gibt es tatsächlich einen Anfang, das Beginnen der Wiederholung. Und Neujahr ist genau dieser eine Anfang. Lasst uns also alles, was zu uns passt, aus dem Jahresende herausholen. Gefeiert werden muss nicht, aber ich denke doch, dass es die perfekte Gelegenheit für Rückblicke und Vorausblicke ist- und noch mehr für den Moment, denn der Augenblick ist die einzige Stelle, wo dieses Leben mit der Ewigkeit in Berührung kommt. Es ist eigentlich wie mit dem Geburtstag feiern (oder jedes andere Fest): Man feiert, dass es jemanden gibt, an diesem einen Tag, wo das Geburtstagskind doch jeden Tag da ist und seine Existenz gefeiert werden könnte.
Zum Ende eines meiner Lieblingsgedichte. Eins von Andreas Gryphius, einem Dichter aus dem 17. Jahrhundert:
"Mein sind die Jahre nicht, die mir die Zeit genommen,
mein sind die Jahre nicht, die etwa mögen kommen.
Der Augenblick ist mein, und nehm ich den in Acht,
so ist der mein, der Zeit und Ewigkeit gemacht."