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Vergeben bis zuletzt

 

Die Uni lud heute zu einem Vortrag von Suzana Neslihan Alias ein, einer malaysianischen Rechtsanwältin. Sie setzt sich in Malaysia für die zum Tode Verurteilten ein. Grundsätzlich will die die Todesstrafe abschaffen. Sie wird in ihrem Land verfolgt, verachtet wegen ihrer Grundsätze- der wichtigste lautet: Vergebung. Den Tätern vergeben und ihm eine zweite Chance geben. 

Ich konnte ihr eigentlich in den meisten ihrer Punkte nur zustimmen. 

Niemand hat das Recht, jemanden zu töten. Jeder hat eine zweite oder dritte oder... Chance verdient. Und JEDER, selbst ein Terrorist, kann sich ändern. Besonders durch die grausamen Zustände in den Gefängnissen Malaysias. Sie erzählte von ihrem ermordeten Cousin, und wie sie ihre ganze Familie dazu brachte, dem Mörder zu vergeben, wie sie sich mit dessen Frau anfreundete, und wie das Wissen, was den armen Kerl zum Mord getrieben hatte, ihre ganze Perspektive änderte. "Vergebung"- das war ihre Message. 

 

Aber in einer Sache war sie inkonsistent mit sich selbst. 

Sie erklärte, dass Gefangene in Malaysia nichts als ein Buch und ihre Kleidung am Leib besitzen dürfen, damit sie nichts haben, womit sie sich das Leben nehmen könnten. Sie sagte, es wäre fairer, wenn sie sich vor der Hinrichtung selbst das Leben nehmen könnten. Es würde ihre Würde bewahren. 

Ich hätte sie nach dem Vortrag gerne noch drauf angesprochen- hab mich aber nicht getraut. Ich hatte auch den Knoten in dem, was sie sagte, noch nicht ganz raus. 

Jetzt würde ich ihr sagen wollen: 

Wenn Vergebung alles ist, was zählt, wenn die Opfer und deren Familien den Tätern vergeben müssen, müssen dann nicht auch die fälschlicherweise Verurteilten den Anklägern vergeben und den ungerechten Richtern und den Henkern? Sollten nicht Verbrecher besonders auch sich selbst vergeben? Gilt das Prinzip der Vergebung nicht bis zuletzt? Wie könnte es also richtig sein, sich selbst umzubringen? 

Sich selbst das Leben zu nehmen bedeutet, die Hoffnung aufzugeben- und das bedeutet, alles, sich selbst mitsamt seiner Würde aufzugeben. Es mag schöner aussehen, es mag schneller gehen, es mag schmerzloser sein (in Malaysia werden Menschen durch Erhängen hingerichtet), aber im Prinzip würde es nichts ändern. 

 

Ich denke, dass das vielleicht das Christentum ausmacht. Suzana Neslihan ist Muslimin, und sie predigte Liebe und Vergebung, aber sie hat keinen Erlöser, der vorzeigt, wie man heldenhaft vergibt und liebt; der, während seine Hände durchbohrt werden und sein Leib auseinandergerissen wird, den Henkersknechten vergibt und ihnen sich selbst mit all seiner Liebe schenkt.