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Das kleine feige Ich

 

Es mag lächerlich klingen, aber heute war ich feige. In der Küche unten sind einige Studenten zusammengesessen, haben gegessen, getrunken, gequatscht. Später wollten sie auf den Pub Crawl gehen, der von einer Studentenverbindung organisiert wurde. Der Franzose hatte hausgemachte Salami mitgebracht und Rotwein. Ich machte mir Tee, verräumte meine Einkäufe, beachtete nicht weiter, dass der Franzose den anderen Wurst anbot, nur mir nicht, und war recht still. Ich weiß genau, wieso. Beim Hinausgehen wurde mir nun auch noch Wurst angeboten. „Danke! Voll lieb, aber ich ess kein Fleisch…“ „Ah, du isst kein Fleisch, schade auch, na dann!“ „… Freitags…“, fügte ich beim Rausgehen leise hinzu. Ob die Italienerin ihm später wohl erzählte, dass ich zwei Tage zuvor ihre Bolognese-Sauce gelobt hatte? Ob ich später einmal auf einem Studententrip in der Gegenwart des netten Franzosen einen Hot-Dog verschlingen würde, und er würde denken, ich hätte nur seine eigene Salami nicht probieren wollen?

 

Ich habe mich also nicht getraut, zu sagen, dass ich FREITAGS kein Fleisch esse. Da wäre vielleicht ein ‚Warum denn nur freitags?‘ gekommen, worauf ich verraten hätte müssen, dass ich das aus religiösen Gründen tue. Das hatte ich vermeiden wollen. Es war wie ein natürlicher Selbstverteidigungsinstinkt. Warum jedoch sollte jemand stolz behaupten können, er esse kein Fleisch, weil er Veganer ist, und nicht ich, weil ich katholisch und altmodisch bin?

Ich bin nach oben in mein Zimmer gegangen und habe mich geschämt. Ich war wütend. Auf mich selbst. Wie konnte man 21 und noch so lächerlich feige sein, nicht zu seinen Überzeugungen stehen? Warum kümmerte es mich tatsächlich immer noch, was der Rest der Menschheit von mir dachte? 

 

Im Zimmer trank ich meinen Tee und aß eine halbe Packung Kekse. Meine Laune war am Boden.

 

Ich betete und klebte dann ein großes Blatt Papier an die Tür: „TODAY I will NOT CARE about what people THINK OF ME. TODAY I will not be afraid of people JUDGING me.”

Jeden Morgen, wenn ich das Zimmer, meine sichere Zone, verlasse, werde ich diesen Spruch lesen. Einen Tag zur Gänze leben; von anderen nicht verstanden werden, aber sich selbst treu bleiben. Es geht nur um einen Tag. Nur um das Heute. Jeden Tag ein gutes Heute macht ein gutes Leben.